Wie konnte es in Deutschland ab Mitte März 2020 zu derartig schnell angeordneten und zunächst sehr rigiden, wenig differenzierten Grundrechtsbeeinträchtigungen kommen, die teilweise selbst schlimmste Befürchtungen der einstigen Gegner der so genannten Notstandsgesetze erheblich übertroffen haben? Die verbreitete Angst in der Bevölkerung vor dem neuen Coronavirus hat "die Politik" vor sich her getrieben. Aber Angst ist meistens ein recht schlechter Ratgeber (nicht nur in der Politik). Je weniger wir über Gefahren und ihre Verursachungsketten wissen, desto amorpher und scheinbar unentziehbarer wird die Angst vor einem bisher nicht fassbaren Phänomen: Verdacht haben macht vor allen Dingen den Staat mächtig, auch wenn (oder weil?) er die Ursachenketten bisher größtenteils noch nicht kennt. Es soll dabei nicht bestritten werden, dass - angesichts exponentiell wachsender Infektionszahlen und der dramatischen Lage etwa in Norditalien - der Handlungsdruck im März 2020 massiv und die wissenschaftlichen Erkenntnisse und Erfahrungswerte noch sehr dünn waren. Doch zur Wahrheit dürfte auch gehören, dass einige Politiker am Anfang der Corona-Krise versucht haben, sich mit Forderungen nach immer schwerwiegenderen Schutzmaßnahmen zu profilieren. Die Politik hat sich am Anfang der Corona-Maßnahmen teilweise einen Überbietungswettbewerb an grundrechtseinschränkenden Maßnahmen geliefert. Es war die hohe Stunde der Katastrophenpropheten, aber nicht der Grundrechts Verteidiger. Im Rückblick wird man zwar sagen müssen, dass der strenge Lockdown im März/April 2020 in einigen Facetten zu weitgehend war. Das gestand etwa auch der Bundesgesundheitsminister Spahn ein. Man sollte aber vorsichtig sein, aus solchen ex-post-Analysen unter Zugrundelegung des heutigen Kenntnis Standes eine Bewertung der infektionsschutzpolitischen Reaktion auf die Corona-Pandemie abzuleiten. Im internationalen Vergleich - auch im Vergleich zu unseren europäischen Nachbarn - war Deutschland zunächst jedenfalls wohl relativ gut durch die (erste Phase der) Pandemie gekommen. Krisenhafte Zuspitzungen der Infektionslage wie in Norditalien, Frankreich, Spanien, New York City oder Brasilien blieben der deutschen Bevölkerung jedenfalls damals erspart. Das dürfte auch mit dem Lockdown 1 zu tun gehabt haben.